- vorchristliche epische Zyklen mit der finnischen Mythologie als Basis
- lyrischer, mehr emotionaler Gesang
- Arbeitslieder
- Schlaflieder
- Klagelieder (anlässlich einer Beerdigung oder einer Hochzeit)
Der wichtigste Bestandteil der Runenlieder ist die einzelne Verszeile; es gibt keine grösseren formalen Einheiten wie z.B. Strophen. Die Anzahl Liedzeilen kann bei jeder Vorführung variieren. Traditionell werden die Runenlieder meist im „call-response-Modus“ gesungen, d.h. ein Chor oder ein einzelner Sänger wiederholt die Textzeile des Vorsängers mit der identischen Melodie oder mit einer neuen – oft leicht abschliessenden – Melodie. Es gibt aber auch Runenlieder, die solistisch oder allein gesungen werden (z.B. gewisse Hochzeitslieder, Schlaflieder).
Massgebend für die Form der Runenlieder ist die metrische Struktur der meist achtsilbigen Verse. Alle finno-ugrischen Sprachen sind sogenannte quantitative Sprachen, d.h. die Abfolge von kurzen, langen und überlangen betonten Silben und Sprechsegmenten entscheidet über die jeweilige Wortbedeutung. Auch der musikalische Rhythmus besteht aus einer bestimmten – wiederholten – Abfolge von langen und kurzen betonten Elementen. Beim Singen der Liedzeilen orientiert sich die Melodie rhythmisch an der Struktur des Verses, denn dieser gibt die Anzahl Elemente und deren Gruppierung zu Mustern vor. Das rhythmische Muster fungiert sozusagen als Bindeglied zwischen Melodie und Vers, denn die Runengedichte haben keine vorgegebenen Melodien.
Regionale Unterschiede
In vielen Gemeinden Estlands prägten die alte Bauernkultur und die Runenlieder („regilaul“) das dörfliche Alltagsleben bis ins 19. Jahrhundert hinein. Während die Runenlieder vielerorts in Vergessenheit geraten sind, sind sie in der Region Setumaa – im Grenzgebiet zwischen Estland, Lettland und Russland – noch immer Teil der Alltagskultur. Die finno-ugrische Sprache und Lieder der Setu waren zur Zeit der Sowjetunion verboten, werden heute aber wieder vermehrt gepflegt. Wie in der bulgarischen Chormusik werden auch in den Setu-Lieder viele für westliche Ohren ungewohnte Intervalle (Sekund, Quart) verwendet.
Auch in Ingermanland (Ingerimaa) bei St. Petersburg wurden die finnischsprachigen Menschen zur Zeit der Sowjetunion unterdrückt, deportiert und umgebracht. Der musikalische Stil der ingrischen Finnen ähnelt der Setu-Gesangskultur, allerdings werden die Röntyskä-Lieder unisono – also ohne Harmonien – im Frauenchor gesungen. Insgesamt kann man sagen, dass die Liedtradition in Estland und Ingermanland hauptsächlich durch eine weibliche und lyrische Vorstellungskraft geprägt ist.
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